Kostenlos anmelden zur 4-Wochen-Begleitung vom 11. April bis 6. Mai

Familienpraxis 

Dr. Simone Lang

Reiche Menschen wenden sich oft wieder ganz einfachen Dingen zu: für Oprah Winfrey beispielsweise ist es das highlight, sich nach einer Sendung ein langes Vollbad zu gönnen. Reichtum ist oft nicht nur finanzieller Reichtum, sondern der Luxus, Zeit zu haben. So habe ich finanziell zwar (noch) nicht ausgesorgt, bin aber gerade reich an Zeit und teile diesen Luxus gerne mit meinen Kindern. Daraus entspringt meine Geduld mit ihnen.

Montags hat die Große Tanzen und muss dorthin gebracht werden. Da ich tagsüber schon unterwegs war, fuhr mein Mann mit und ich blieb mit dem Kleinen zuhause. Es war Sonnenschein und vor uns beiden lagen zwei Stunden Zeit. Alle Bedürfnisse – Essen, Windeln, geistige Anregung, Sport waren bis dahin erfüllt , was eine unglaubliche Zufriedenheit in mir auslöst. In dieser Stimmung gelingt das Zusammensein miteinander.

So gingen wir auf die Terrasse und der Kleine entdeckte den Steinmaulwurf, der bei uns herumsteht und schleppte ihn zu mir. Wir „unterhielten“ uns darüber, in dem zur Zeit üblichen Singsang ohne Worte. Ich setzte mich in die Sonne und genoss die Wärme und das Licht – endlich nach dem langen Winter. Gerhard? Polt entwicckelte ein Stück zur „Gemütlichkeit“ (bayr. Gmiatlichkeit) in dem er minutenlang ausführt, wie sich dieses Gefühl beschreiben lässt. In solchen Momenten kommt mir in Anlehnung an dieses Stück von Polt der Begriff der „Genüsslichkeit“. Alles für mich ist dann genüsslich, ich sauge die Sonne auf der Moment genügt sich selbst. Kinder spüren das sofort mit ihren Antennen und stellen sich schnell auf die Stimmung mit ein. So auch mein Kind an diesem Abend. In dieser Glückseligkeit spielten wir zusammen, ich saß, er brachte mir Dinge, wir wechselten zur Sandkiste, ich backte Sandkuchen, er zerpatschte sie…

Ein friedvoller Vorabend, entspannte, glückselige zwei Stunden, die über die Nacht und den nächsten Morgen hinaus wirkten, indem der Kleine einfach gut drauf war (und ich auch). Bindung gelebt,Beziehung gestärkt, Lebensglück gefunden. Beziehung und Vertrauen wollen wachsen. Dies kann ich befördern, indem ich Zeit und Raum für uns gebe.

Situationen, in denen ich regelmäßig unter Druck gerate, sind Terminsachen. So muss meine Tochter mittags nach der Schule im Hort abgeholt werden. Das positive ist, dass es da Gleitzeit gibt. Wir sprechen also ein Zeitfenster ab, wann ich sie abhole, das ist je nach Stundenplan nicht immer die gleiche Zeit.

Wenn es gut läuft, habe ich morgens entweder etwas gefühlt Sinnvolles für mich getan oder mit meinem kleinen Kind. Bestenfalls ist er zufrieden, weil er etwas für ihn interessantes machen konnte, so dass ich ihn satt und mit frischer Stoffwindel in den Radanhänger packe, in dem er in den Schlaf gewackelt wird.

Situationen unter Handlungsdruck

Dass das nicht immer so läuft, liegt in der Natur der Sache. So schaffte ich es letzten Freitag mit ihm zum Fitness zu fahren (ich bin in einem Heil- und Bewegungszentrum, die tolle Kurse zur Ganzkörperkräftigung anbieten). Dort angekommen, durfte ich den schlafenden Kleinen mit an die Geräte stellen – alles perfekt. Außer, dass ich zeitlich später losgekommen war als gedacht und mittags nicht nur mein großes Kind, sondern auch noch ein Besuchskind abgeholt werden musste. Und ich hatte das falsche Fahrrad dabei. Also wieder zurück, Tandem statt Fahrrad holen, mittlerweile war er aufgewacht. Nach einer kurzen Einheit im Fitness sollte er wieder in den Radanhänger, um zur Schule zu fahren – großer Protest. Verständlich, hatte er doch bereits geduldig auf den Hin- und Herfahrten zum Teil wach ausgeharrt – jetzt war er wach und wollte nicht wieder liegen…

Ich experimentiere dann: auf der einen Seite mein Termindruck, auf der anderen Seite sein Bedürfnis nach allem anderen außer schlafen und dann natürlich noch der Sicherheitsaspekt mit Rad im Verkehr. In diesem Fall klappte es, dass ich ihn zur Schule, die um die Ecke war, schob, er im Anhänger unangeschnallt, so dass er sich bewegen konnte. An der Schule war erstmal spielen angesagt – glücklicherweise war ich früh genug dran. Die Große zog mit ihrem Brüderchen durch die Gänge. Ich entdeckte dabei „zufällig“ eine tolle Ankündigung für ein für mich inteessantes Tanzangebot und freute mich. Die nächste Etappe war die zum Kindergarten der Freundin. Den Kleinen unter Protest eingepackt – diesmal mit Anschnallen, da die Strecke länger war und wir fahren mussten. Nächste Etappe Kindergarten, das Besuchskind abholen. Da auch die Große dort war, konnten wir auch hier eine nächste Spieleinheit für den Kleinen einlegen. Außerdem konnte ich ihn hier füttern, so dass er mittlerweile auch wieder müder wurde. Das letzte Mal in den Radanhänter einpacken war dann kein wirklicher Widerstand mehr, er drehte nach einem kurzen Meckern den Kopf zu Seite, um einzuschlafen.

Insgesamt hatte die gesamte Abholaktion von halb zwölf bis zwei Uhr Ankunft wieder zurück am Haus mit den drei Kindern gedauert. Manch eine wird die Zeit nicht erübrigen wollen – aber was wäre die Alternative? Das Kind brüllend in den Radanhänger verfrachten und warten bis er resignierend aufgibt? Nicht mein Ding… Für mich fühlt sich das ganze besser an, wenn ich versuche, auch dem Bedürfnis des Kleinen gerecht zu werden.

Ich durchatme den Tag

Ich atme ein, ich atme aus, wir spielen, wir fahren, wir essen wir ruhen – ohne Hetze, aerob, ohne eine Adrenalinschuld im Körper einzugehen. Und ganz nebenbei spreche ich noch mit Emmas ehemaliger Kindergärtnerin und wir pflegen die Beziehung – über die Zeit, bis der Kleine mal dorthin geht.

Vorgestern war ich mal wieder mit Abholen dran – diesmal kein Besuchskind. Allerdings war ich morgens unterwegs, mein Mann sorgte für den Kleinen – so gut, dass der einfach zwei Stunden am Stück schlief. Und hinterher putzmunter war! Aus den vorherigen Schilderungen kann sich die geneigte Leserin (der geneigte Leser möge sich mit angesprochen fühlen) ausmalen, vor welchem Problem ich dann stand. Ja, genau. Mein Mann war dann bei seiner Erwerbsarbeit und ich stand mit einem äußerst neugierigen, wachen und aufmerksamen Kind da, welches ich eine Stunde später zum Abholen der Tochter wieder in den Radanhänger bekommen musste…

Jetzt reden mein Mann und ich ja über solche Sachen und ihm ist für die Zukunft auch klar, dass er unser Kleines nach 35 Minuten, als er zum ersten Mal wach wurde nicht mehr weiterschiebt, sondern unter der Woche aufwachen lässt.

In der konkreten Situation nützt es mir dann aber wenig, dass es das nächste Mal anders organisiert wird.

Wie das Problem lösen?

Und manch eine wird fragen: Welches Problem? Den Kleinen in den Hänger packen – und gut is. Irgendwann gibt der schon eine Ruhe… Hmm… Ja, äh…, nein. Gerade in den alltäglichen Situationen lernen uns unsere Kinder am besten kennen. Hier zeigt sich, ob das mit dem „Erziehung vom Kinde aus“ nur leeres Gerede ist, oder ob es mit Leben gefüllt wird. Das Kind in den Radanhänger zu legen, wenn es sich bewegen will und das für sich richtig fühlt und dann Zwang ausgeübt wird, indem es festgeschnallt wird, obwohl es klar durch lautes und langandauerndes Schreien und verzweifeltes Weinen ausdrückt: „Das will ich jetzt nicht“, ist letztendlich Gewalt auszuüben. Ja, natürlich gibt es die Situationen, in denen es nicht anders zu gehen scheint. Dennoch, sie sind wann immer möglich zu vermeiden.

Wenn es manchmal als Notwendigkeit erscheint, Zwang auf das Kind auszuüben, führt das zur inneren Not des Kindes, und es sollte daher der absolute Notfall bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Familienpraxis Dr. Simone Lang

Cart Overview