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Familienpraxis 

Dr. Simone Lang

Mein Kleiner beißt uns gerade immer, wenn ihm langweilig ist. Und versteht gar nicht, warum seine Schwester dann weint. Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und mit ihnen mitzufühlen, wird durch Vorbild und Nachahmung gelernt. Hier liegt eine Chance im familiären Umfeld achtsam Situationen zu begleiten, in denen Kinder psychisch verunsichert und aus der Fassung gebracht, manchmal auch körperlich verletzt werden.

Einfühlungsvermögen als Lernaufgabe

Lernen Kinder von anderen Kindern, die selbst noch keine Empathie gelernt haben, werden sie sich nicht in andere hineinversetzen können. Im Gegenteil, sie werden vielleicht sogar lernen, dass es Spaß macht, andere zu quälen, besonders wenn sie selbst gequält wurden und ihnen wenig Mitleid entgegengebracht wurde. Lernen Menschen dies erst im Erwachsenenalter, werden oft hohe Kosten dafür gezahlt – beispielsweise wenn ein Mörder mit dem unfassbaren Leid Mutter der von ihm ermordeten Person konfrontiert wird und endlich begreift, was er verursacht hat.
Im Kindesalter schauen sich die Kinder genau ab, wie wir mit ihrem Leid umgehen. Sie bilden innere Arbeitsmodelle von uns Eltern, die sie dann zunächst auf alle anderen Personen, die sie kennen lernen, dann übertragen.
So habe ich meine Tochter das letzte Mal ganz bewusst in den Arm genommen, als der Kleine sie „im Spiel“ dermaßen fest in den Hinterngebissen hatte, dass sie vor Schmerz weinen musste. Habe sie festgehalten und gestreichelt. Habe unser Spiel angehalten und die Zeit aufgebracht, sie lange und ausgiebig zu trösten. Es tat ihr gut und ihr Weinen versiegte allmählich. Und der Kleine? Nach einer Weile begann er seine Schwester selbst am Bein zu streicheln, den Rücken zu streicheln. Wie schön.

Grenzen akzeptieren lernen

Gerade will mein Söhnchen immer genau das, was seine Schwester hat. Kuschelt sie mit meinem Arm, will er auch mit meinem Arm kuscheln – der andere Arm geht nicht. Überlässt meine Tochter ihm den Arm und wechselt zu dem anderen, will er den. Das Spiel kann er ewig spielen, bis jemand die Lust verliert. Oder meine Tochter nicht bereit ist, ihm das Geforderte zu überlassen und dann die Schreierei groß ist.
So geschehen letzten Donnerstag abend: Die Große übt im Wohnzimmer Radschlagen über eine Kiste. Ihr Bruder kommt dazu und will genau auf den selben Hocker klettern, worauf sie das Radschlagen unterbricht, um ihn nicht mit den Beinen zu erwischen. Lautstark fordert er die Kiste ein. Ich zeige ihm eine zweite, genau identische Kiste und meine, dass seine Schwester jetzt üben möchte. Er hört nicht auf, zu meckern, bis sie ihm ihre Kiste überlässt und selbst zur anderen wechselt. Dann will er die Kiste, auf der sie nun ist.
Da ist der Moment, in dem ich meiner Tochter auch mal ihren Lernraum sichern helfe, ich lege für beide Kinder einen eigenen Bereich fest, beide bekommen die gleiche Kiste und die Große kann weiter üben.
Der Kleine macht Aufstand. Heult, bis er sich ins Schreien steigert. Wehrt sich, wenn ich ihn festhalte, damit er nicht in den Bereich der Großen überwechselt.

Die eigene klare innere Haltung

Ich für mich hatte es ganz klar, dass dies eine Grenze ist, die er lernen muss zu akzeptieren. Dass ich es nicht will, dass die Große in ihrem Lernen gestört wird. Und ich war gerade ganz gut drauf, da ich eine gelungene Konferenz hinter mir hatte….
So nehme ich ihn auf den Schoß, halte ich ihn fest und sage ihm, dass ich das verstehen kann, dass er das total blöd findet, dass er da nicht hin darf. Dass ich sehe, dass er sich total ärgert. Dass ich weiß, dass er da gerne hinmöchte, aber dass seine Schwester da jetzt gerade etwas üben möchte und er hier an dem anderen Hocker spielen kann. Irgendwann hat er verstanden, dass das jetzt so ist. So wird er nach einer Weile ruhiger.
Er klettert vom Schoß und ich setze mich auf den Boden. Während die Große eifrig weiter Räder schlägt (wahrscheinlich ausdauernder, als wenn der Kleine nicht ihren Hocker gewollt hätte) beginnt der Kleine auf seinen Hocker zu steigen. Und in seiner emotionale Aufruhr, die gerade erst ein wenig abgeflacht ist, traut er sich plötzlich, beidbeinig hinunter zu springen. Das hatte sich schon seit einiger Zeit angedeutet, dass er immer mal wieder beibeinig gesprungen ist, aber das war ein astreiner beidbeiniger Niedersprung. Beflügelt von diesem Erfolg, wiederholte nun er seinen Sprung wieder und wieder – die Tränen trockneten noch auf dem strahlenden Gesicht.

Die Stimmung ist wieder entspannt und ein gemeinsames Spiel der beiden entsteht.

Familienpraxis Dr. Simone Lang

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