Mittwochs ist Badetag. Der Kleine, der morgens schon in der Wanne war, wollte abends nochmal mit seiner Schwester baden. „Darf ich mit in die Badewanne?“
Die wollte lieber ihre Ruhe haben. „Nein.“
„Aber warum nicht?“
Da die beiden auch ofter mal zusammen in der Wanne sitzen, war es für den Kleinen war es nicht zu verstehen, warum sie das heute nicht wollte.
„Ich will nicht.“ „Aber warum denn nicht?“ „Ich will alleine baden.“
(Nicht nur) Kinder müssen streiten erst lernen
Es gibt verschiedene Streitphasen:
1. Geplänkel
2. Verschärfung des Tonfalls
3. Rangeln/ Handgreiflichkeit
4. Eskalation (keine konstruktive Lösung alleine mehr möglich)
„Aber, ich kann doch mit in die Badewanne.“ Er bricht in Tränen aus. „Nein.“
Der Kleine beginnt sich auszuziehen. „Aber ich will! Ich geh jetzt in die Badewanne.“ „Nein!!!“ Er versucht, an einer anderen Stelle über den Wannenrand zu klettern.
Jetzt müssste die Große handgreiflich werden und für mich ist der Moment gekommen, wo ICH es nicht mehr aushalte und vermitteln möchte.
Ich greife ein: „Sie möchte heute mal alleine baden.“
Das Heulen des Kleinen wird verzweifelt. „Aber ich kann doch, kann ich denn nicht…“
Die Große sieht seine überquellenden Augen und seine Verzweiflung: „Na gut…“
Ich bin anderer Meinung: „Nein, er soll draußen bleiben.“ Nehme mich dann aber schnell zurück und bestehe nicht darauf. Sie hat sich für seinen Schmerz geöffnet, hat Mitleid mit ihm und gibt nach.
Love is stronger than justice
Manchmal gibt es kein richtig und kein falsch. Ich finde, dass die Große sich mehr gegen den Kleinen durchsetzen soll. Aber in dem Augenblick war es einfach herzzerreißend, wie schlimm es für den Kleinen war. Und das ist auch bei ihr angekommen. Was soll ich da eingreifen, auch wenn mein erster Impuls genau das war.
Die Große hat die Eskalation vermieden, ist aber von ihrem Standpunkt abgewichen. Sie war in dem Moment stark und konnte ihr Bedürfnis zurückstellen – für ihn. Wäre sie noch jünger und hätte diese Fähigkeit nicht, wäre das Ganze eskaliert. Was hätte ich getan?
Streiten lernen
Was Eltern lernen, wenn sie nicht so schnell wie möglich versuchen, die Situation zu beenden und den Konflikt vom Tisch zu schieben: Mediatorin statt Schiedsrichterin zu sein. Was Kinder lernen können, ist nach und nach mit viel Übung selbst Lösungen finden, so dass wir Erwachsene irgendwann bei der Lösungsfindung nicht mehr nötig sind.
Als Erwachsene hilft es den Kinder langfristig am meisten, wenn wir ihnen helfen, ihnen selbst die Verantwortung für ihre Lösung in die Hand zu geben. Dafür müssen wir zu Übersetzerin der Gefühle und dem Sprachrohr verschiedener Bedürfnisse werden – je kleiner die Kinder, desto mehr.
Als Schiedrichterin übernehmen wir die Verantwortung für die Lösung. Das geht zunächst schneller und mag in Drucksituationen nötig sein. Ist Zeit, können wir uns darin üben, gerade keine Lösung vorzugeben und durchzusetzen, sondern unsere Kinder zu begleiten. Dafür helfen vier Schritte:
- Gefühle benennen
Dafür hilft es, wenn wir uns auf Augenhöhe unsere Kinder begeben. Ist der Streit ekaliert und handgreiflich geworden, müssen wir die Beteiligten trennen, Schutz bieten, wer Schutz braucht, z.B. durch Körperkontakt.
- Bedürfnisse herausarbeiten und erkennen
Wenn möglich, sollen dann beide aus ihrer Sicht erzählen, was passiert ist. Können sie noch nicht reden, werden wir zu Sprachrohr und fassen die Gefühle des Kindes zusammen und versichern uns, ob das richtig ist.
- Bedürfnisse kommunizieren
Wichtig ist für alle, Erwachsene wie Kinder, dass das zugrundeliegende Bedürfnis, bzw. die Bedürfnisse gefunden und ausgesprochen werden. Ebenfalls hilfreich ist es, einfach festzustellen, wir schwierig das Problem ist.
- Rückfrage nach möglichen Lösungen für alle Bedürfnisse
Gerade wenn die Kinder noch jung sind, können Erwachsene auch Lösungsvorschläge einbringen. Allerdings ist es wichtig, immer die Kinder nach Lösungen zu fragen, da sie oft auf Dinge kommen, an die wir nie gedacht hätten. Und natürlich sind die selbstgefunden Lösungen die besten.
Was mir hilft: Opferorientierung
In den Medien bekommen oftmals die Täter eine Bühne. Von dem, was unser Gehirn lernt, ist das sehr ungünstig, das ungewünschte Verhalten wird quasi als Beispiel vorbildhaft von unseren Gehirn abgespeichert. Das geht über Bilder ganz schnell und viel effizienter als z.B. verbal-abstrakt, weshalb Hirnforscher wie Manfred Spitzer o.ä. genau vor diesem Mechanismus warnen.
Therapien setzen auf die Opferorientierung, um so potientiellen anderen Tätern vorzubeugen. Und um Empathie, z.B. mit Angehörigen zu bewirken. Diesen Grundsatz wende ich auch an, wenn ich eskalierende Situationen von meinen Kindern begleite.
Der Kleine kratzt
Ich habe nicht genau mitbekommen, was passiert ist – meine Tochter schreit heulend meinen Sohn an: „Du sollst mich nicht immer kratzen.“ Ich schaue zu ihr, sie rennt weinend in ihr Zimmer. Ich gehe ihr nach, der Kleine kommt mit. Wir bleiben so lange in ihrem Zimmer, bis sich ihr Weinen beruhigt. Ich nehme sie auf den Schoß. „Schau Mama, da, hat er mich schon wieder gekratzt.“ Ich küsse sie auf die Stelle. Ich bleibe so lange mit ihr sitzen, bis sie wieder stabil ist.
https://www.baby-und-familie.de/Erziehung/Streit-unter-Geschwistern-Wann-eingreifen-220881.html
https://www.bkk-mobil-oil.de/magazin/01-2017/streit-unter-geschwistern-was-tun.html
Buchtipp:
Adele Faber und Elaine Mazlish: Hilfe, meine Kinder streiten