„Ach, Babys schreien doch alle…“ Oft zögern Mütter, eine Beratung aufzusuchen, weil eine Person im eigenen Umfeld eine solche oder ähnlich Einschätzung abgibt und damit die Wahrnehmung nicht ernst nimmt. Zunächst einmal zählt die gefühlte Wahrnehmung: Wenn ein Kind gefühlt „zu viel“ schreit und die Nerven der Eltern zermürbt, kann in weitestem Sinne von einem Schreikind gesprochen werden. Dies reicht auch völlig aus, um sich Hilfe bei einer Schreiberatung zu suchen!
Nicht nur das Schreien an sich ist problematisch! 3 Bereiche der Schreiproblematik
Es ist tatsächlich so, dass auch die offizielle Definition der Schreiproblematik die Belastungswahrnehmung, also die Überlastung der Eltern gleichberechtigt neben dem Schreien des Kindes und Missverständnissen zwischen Eltern und Kind stellt.
Exzessive schreiende, unstillbare, untröstliche Schreibabys
Die alte Definition besagt, dass ein sogenanntes Schreikind, ein Baby ist, das mehr als drei Stunden am Tag, an mehr als drei Tagen die Woche über mindestens drei Wochen hinweg schreit (nach Morris Wessel). Dieses Phänomen ist in der Literatur tatsächlich bereits seit bald 70 Jahren bekannt!
Die Fachliteratur bezeichnet dies als exzessives Schreien oder auch unstillbares Schreien (z.B. Margarete Bolten u.a.). Das Kind leidet an langen Phasen von Unruhe ohne erkennbaren Grund oder hat Anfälle von heftigem Schreien und es versagen die Beruhigungshilfen durch das intuitive Tröstverhalten der Eltern.
Was in dem Baby vermutlich vorgeht
So genannte Schreibabys können sich, wenn sie ermüden, nicht aus dem äußeren Geschehen heraus- und der Ruhe zuwenden. So müssen sie oft Erlebnisse nacharbeiten: In einer Situation mit vielen Außenreizen (Besuch, Einkauf o. Ä.) tritt dann das Schreien erst später auf, z. B. nachts. Für das Kind ist das Lernziel in den ersten drei Monaten, mit den neuartigen und zu den im Mutterleib gespürten sehr fremden Körpergefühlen („Selbstempfindungen“) vertraut zu werden und sich nicht darüber zu beunruhigen. Dabei hilft dem Kind alles, was die vertraute Umgebung der Gebärmutter imitiert (siehe meinen Blogartikel zu den Beruhigungsstrategien).
Was ist eine Regulationsstörung?
Unter dem Gesichtspunkt eines reibungslosen „Funktionierens“ in der Erwachsenenwelt wird das exzessive Schreien des Kindes auch als Regulationsstörung bezeichnet. Dabei ist die Regulation nicht im eigentlichen Sinne gestört, sondern noch nicht ausgebildet. Schreibabys beunruhigen sich in weit stärkerem Maße als andere Kinder. Die so genannten Regulationsstörungen sind also keine pathologische Störung im eigentlichen Sinne, sondern ein Lernvorgang der Bewältigung von Innen- und Außenreizen. Einige Babys sind also weniger sensibel, andere spüren sich selbst mehr.
Schreikind-Eltern sollen von 0 auf 100 Profis sein…
Von Eltern mit Schreikindern werden ein mehrfach schnelleres Reagieren und eine hohe Kompetenz im täglichen Umgang mit dem Kind verlangt. Sie müssen bereits Profis sein und schnell erkennen und prompt auf das reagieren, was das Kind anzeigt. Das wirklich Schwierige für die Eltern ist, dass sie quasi von Geburt an schon gelernte Beruhigungsexpertinnen sein müssten, dies aber selbst erst lernen. Wenn ich etwas wirklich schwieriges lernen muss, ist die Gefahr des Misserfolges auch besonders groß. Das heißt, zum einen brauchen die Schreibabys eine besondere Unterstützung, genauso aber eben auch die Eltern.
Erfahrungsbericht einer „Schreikind-Mama“
„Wir waren bei Ärzten, in einer Schreipraxis beim Ostheopathen. Überall. Aber nie wurde etwas gefunden. Sich Hilfe zu holen hat geholfen. Der Papa hat sich einen Job in der selben Stadt gesucht und war somit jeden Tag da. Außerdem haben wir die Omas eingebunden, damit ich mit dem grossen Bruder exklusive Zeit verbringen konnte und ab und zu, um Essen kochen zu lassen.“