Mein schönster Moment mit meiner kleinen oft untröstlich schreienden Tochter war der, als ich sie einmal im Frühling ins Tragetuch packte und vor dem Haus Vögel beobachtete. Ich erinnere mich an das Zwiegespräch mit dem schlafenden Kind, das Gefühl des „Eingebunden-Seins“ in die Natur und die Freude am Beobachten der Vögelchen, die sich in kleinen Sandkuhlen badeten. Es war friedlich, ich schöpfte Kraft und fühlte meine starke Liebe zu meinem Kind.
Glaubenssätze
Zuvor hatte ich eine ganze Menge Glaubenssätze im Umgang mit einem sensiblen Baby abstreifen müssen. Menschen mit Qualifikation hatten versucht, mich glauben zu machen, dass ein Kind bis es acht Monate sei, im eigenen Bettchen schlafen müsse, dass Kinder das selbständige Einschlafen von mir anerzogen bekommen müssten, dass Kinder auch ruhig mal eine Weile alleine schreien dürfen etc. Das hat mir und meiner Tochter einen Knacks in unserer Beziehung geben. Glücklicherweise hat mein Kind nicht locker gelassen, bis ich verstanden habe, auf sie und auf mich zu hören. Und was uns nicht gut tut zu ignorieren.
Wie habe ich meinem Baby geholfen?
Da-Sein als Grundlage
Als erstes habe ich mir nach einem furchtbaren Schlüsselerlebnis geschworen, mein Baby nie mehr beim Schreien alleine zu lassen. Das hat bis auf wenige Ausnahmen, wenn ich absolut nicht mehr konnte und kurz aus dem Zimmer gehen musste, auch geklappt. Es hat unsere Beziehung gestärkt und ihr Vertrauen, dass ich da bin, wenn sie mich braucht. Für uns beide ist sicher, dass sie von mir bedingungslosen Rückhalt und Unterstützung bekommt. Es ist mein Versprechen und mein Geschenk an sie.
Die fünf „S“
Die Zusammenfassung von Beruhigungsstrategien nach Harvey Karp hat mich in den schlimmsten Schreisituationen gerettet. Wenn sie müde war und absolut nicht schlafen konnte, habe ich sie „straff eingewickelt“, in der „Seitenlage“ auf meine Knie gelegt, ihr ein „Schschschsch“ ins Ohr gezischt, sie mit einer Scheibenwischer-Bewegung der Knie „schaukeln“ lassen und ihr den „Schnuller“ in den Mund gegeben. Damit habe ich es oft geschafft, dass sie einschlafen konnte.
Bei sich selbst bleiben und dem Baby zuhören
Zu der Zeit, als ich mein Kind ein Schreibaby war, habe ich leider noch nichts von dem Ansatz der „Selbstanbindung“ (Emotionelle Erste Hilfe) gehört. Ich halte ihn für das fehlende Bindeglied, das mir noch gefehlt hat. Da die Babys ungefiltert alle Ängste, Sorgen von den Eltern miterleben, ist die eigene entspannte Präsenz in Schreisituationen wichtig. Nicht nur das, sie erlaubt dem Kind sogar, sich die eigene Mutter „zum Vorbild“ zu nehmen und mit ihr zu entspannen. Um die Anbindung an den eigenen Körper zu lernen, gibt es 4 Übungen (siehe Quellen unten). In der dritten wird die Aufmerksamkeit nach innen auf den eigenen Körper gelenkt, was dort passiert, wenn der eigene Stresspegel steigt. Ziel ist es, neben dem Kind sich selbst wahrnehmen zu lernen.
Unterstützung
Nahezu alle Mütter von Schreibabys leiden an einem akuten Erschöpfungssyndrom. Das heißt, alle Arbeiten außerhalb des Babys, die keine Energie geben, sondern nehmen, müssen Unterstützung von außen finden. Bei mir war es so, dass eine Woche nach der Geburt meine Mutter kam, um uns Essen zu kochen. Essen haben wir später oft bestellt. Wäsche hat mein Mann gemacht. Einmal wöchentlich hatten wir Unterstützung durch eine Haushaltshilfe. Wenn ich nicht mehr konnte, habe ich meinen Mann angerufen und er ist von der Arbeit nach Hause gekommen. Das habe ich eingefordert, da ich es sonst nicht geschafft hätte.
Rhythmisierung der Schlaf-Wach-Zeiten
Zu Beginn war meine Tochter schon nach einer halben Stunde wieder müde, später dann eine Stunde, dann eineinhalb Stunden. Mir hat geholfen, die Abläufe von Aufwachen bis wieder Einschlafen immer ähnlich zu gestalten mit Stillen, mit ihr in Kontakt kommen, sie wenn möglich ablegen (das hat eigentlich nie geklappt), Wickeln, bei den ersten Müdigkeitsanzeichen in den Schlaf begleiten. Experimentiert habe ich mit dem Stillen – ob nach dem Aufwachen oder zum Einschlafen. Für mich war zweiteres besser, da es mich nicht so erschöpft hat, allerdings war dann die Schwierigkeit, dass sie auch beim Aufwachen geweint hat. Damit war mein Tag ausgefüllt.
Der Gewinn aus dieser Zeit
Schöne Momente waren es, wenn ich ihr als sie schon einige Wochen und Monate alt war, zuschauen konnte, wie sich sich entwickelt. Ich erinnere mich, wie ich ihr gerne zugeschaut habe, wie sie auf dem Bauch auf der Couch ihren Kopf immer hochgehoben hat und sich im Spiegel anschauen konnte oder mich. Daran habe ich mich erfreut. Ansonsten habe ich viele Konsequenzen dann für das zweite Kind gezogen.
- Ich bin im Vorfeld der Geburt ins Fitnessstudio gegangen und habe so meinen Rücken und meinen Gesamtzustand trainiert. So konnte ich mein 2.Kind viel öfter und länger im Tragetuch tragen und habe mich nach der Geburt viel schneller erholt.
- Ich bin für Schwangerschaft aus meinem Beruf ausgestiegen, als ich gemerkt haben, dass es mich zu sehr stresst und habe mir eine andere Frauenärztin gesucht, die diese Entscheidung auch mit mir gemeinsam getragen hat.
- Wir haben im Vorfeld schon viel mehr Haushaltsaufgaben aufgeteilt. Beispielsweise habe ich das Kochen verantwortlich an meinen Mann abgegen. Um dem Mental load zu engehen, tut er dies vollumfänglich, d.h. er kümmert sich um alles, was dazu gehört. Das heißt, er kocht nicht nur, sondern kauft auch das Essen ein und kümmert sich um die Sauberkeit in der Küche.
- Ich habe mich von allen Glaubenssätzen anderer befreit, wenn sie mir nicht gut tun. Der Kleine hatte einen Schnuller, weil es mir geholfen hat. Mit neun Monaten haben wir ihn wieder weggelassen. Ich stille, solange ich und mein Kind das möchten und wie lange das ist, entscheiden wir beide und niemand sonst. Ich genieße es, mit meinen Kindern im Familienbett mit zwei 1,40 Meter Matrazen zu schlafen. Wenn eine andere Person komisch schaut, verweise ich auf die Schlafpraxis in Japan – da schlafen auch alle Personen in einem Raum.
Achja, der zweite war dann komischerweise auch kein Schreibaby mehr 😉
Quellen:
Lang, Simone. Die Ruheberatung. Vom Glück, ein Schreikind zu haben. Berlin: Epubli.
Harms, Thomas. Keine Angst vor Babytränen. Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten. Psychosozial-Verlag. Die oben genannten Übungen sind per Download zu erhalten, wenn das Buch gekauft wird.