Wir haben jetzt angefangen, miteinander zu tanzen. Nein, nicht mein Partner und ich, sondern wir, als Familie. Die Suche nach einem „Tanztee für Familien“ am Nachmittag gestaltete sich als aussichtslos, also muss der Tanztee eben zu uns kommen.
Tanztee im Wohnzimmer
Gestern habe ich also die Gunst der Stunde genutzt – der Kleine hatte noch eine halbe Stunde „auf der Uhr“, würde von seinem Müdigkeitsgrad her wohl noch durchhalten, und – schnell, schnell – den Fußboden von Spielzeug befreit. Nach dem Abendessen haben wir dann den schön frei geräumten „Tanzboden“ eröffnet. Ich stellte das Internetradio mit meinem Lieblings-Jazz-Sender und die Boom-Box an, die Große holte ihre Discokugel, während mein Partner noch das restliche Geschirr in die Küche stellte und los ging´s. Alle machten ihre lustigsten Faxen aus die Musik – Hauptsache lustig, Hauptsache Spaß. Deshalb liebe ich Jazzmusik: sie ist immer unterschiedlich und läd dazu ein, sich irgendwie dazu zu verrenken und irgendwann zwischendurch wird auch mal tanzen draus. Und wie schön, dass niemand beim Tanztee daheim blöd schaut…
Jetzt muss frau ja sagen, dass das gemeinsame Tanzen nicht jedermanns Sache in der Familie ist. Im Gegensatz zu mir als begeisterte Tänzerin und den Kindern, die da sowieso keine Hemmungen haben, ist mein Mann ja eigentlich ein ausgesprochener Tanzmuffel – wie wohl so viele deutsche Männer. Was verwunderlich ist, stehen doch Frauen wissenschaftlich nachgewiesener Maßen auf Männer, die tanzen können (ja, zu so was gibt´s Studien1!!! Es gibt sogar Studien, die den Zusammenhang der Länge des Ringfingers mit der Potenz des Mannes untersuchen – ohne Witz! Was Mann nicht alles für Sex tut und das auch noch mit öffentlichen Gelder finanziert… Aber das nur als skurile Anekdote am Rande.).
Als mein Mann und ich uns im Jahre 2003 auf einem Studienseminar unserer Stiftung kennenlernten, hatte ich als Abendprogramm einige Kreistänze zur gemeinschaftlichen Unterhaltung mitgebracht. Alle Stipendiatinnen und Stipendiaten tanzen begeistert bis amüsiert mit – nur mein Mann saß dabei und machte Fotos… Das konnte mich anscheinend trotzdem nicht abschrecken und nun sind wir ja auch schon ein paar Jährchen ein Paar. Dass er heute zumindest eine offene Haltung zum Tanzen hat, ist das Ergebnis verschiedener Entwicklungen der letzten Jahre – nicht zuletzt auch aufgrund der unsere eigenen Veränderungen durch die Kinder.
Tanzen ist von Grund auf kooperativ
So fand ich schon seitdem wir mit der Großen Brettspiele machen können blöd, dass wir immer gegeneinander spielen – wollte ich doch eigentlich vielmehr MIT meinem Kind etwas spielen. Wie schön, dass die Brettspielentwicklung Anfang des Jahrhundert auch auf diesen Trichter gekommen ist! So gibt es mittlerweile eine kleine Auswahl an Kooperativen Gesellschaftsspielen, von denen wir auch einige so nach und nach angeschafft und ausprobiert haben. Angefangen haben wir mit „Ratzputz“ und „Gruselgrütze“, toll, weil der gemeinsame Erfolg, sprich Sieg, fast immer gewährleistet ist. Dann kamen Spiele dazu wie „Andor“ – einfach toll, weil es endlich genauso wie männliche Figuren genauso die weiblichen Figuren gibt – , „Hanabi“ als durchaus anspruchsvolles Kartenspiel. Es sind beides Spiele, die unsere Tochter erst mit der Zeit mitspielen konnte. Und wir spielen „Hubi“ mit Begeisterung, ein elektronische Spiel, das drei Schwierigkeitsgrade hat. Es verändert einfach völlig die Sichtweise, ob ich miteinander als Gruppe gegen einen imaginären „Feind“ spiele, oder ob die Feindin oder der Feind eine Person in der Familie ist, gerade für Kinder. Wie sollen sie denn sonst Kooperation lernen? Es stärkt uns als Familie.
Eine zweite Entwicklung, die nun im Tanzen zuhause mündete, ist, dass mein Mann und ich nach der Geburt des zweiten Kindes, ohne Großeltern in der Nähe und mehrfach gescheiterten Babysitter-Versuchen, nach Räumen suchen, in denen wir gemeinsam etwas Schönes machen können. Nicht nur das tägliche Absprechen des Tagesablaufes, nicht nur die Termine für Aufgabenverteilung, was alles gerade ansteht und wer etwas macht. Nicht nur Spülen, Wäsche, Kind zum Tanzen fahren, … Da sich das gemeinsame Weggehen aus verschiedenen Gründen nicht als entspannt erwiesen hat, bringen wir das Freizeitprogramm nun nach Hause.
So: Here we are, uns seltsam und lustig zuckend auf Musik bewegend – auch hier ist Kooperation angesagt – wir tanzen ja nicht, um schöner auszusehen als jemand anderes im Raum, sondern um uns zusammen gut zu fühlen.
Und der größere Rahmen: Was Tanzen für die Gesellschaft bringt
Die Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit – wie wichtig ist diese Arbeit, die wir Eltern da machen: eine konstruktive Art, Zusammenhalt zwischen Menschen zu stärken. Dann braucht es auch keine Rechtsradikalen auf der einen Seite oder schönmalerische, weil konfliktverneinende Flüchtlingsbejubler(innen) auf der anderen Seite. Es gibt ganz logischen, aus gelingender Bindung entstehenden, emotionalen Überfluss, der zu Mitleid mit anderen Menschen befähigt. Oder eben misslingende Bindungen und die werden dann auf andere projiziert, da ich ja von der eigenen Familie oder weiter gedacht, Gesellschaft, abhängig bin. Da kann ich nicht noch für andere Menschen sorgen und Selbstfürsorge ist angesagt.
1 Siehe auch: „Tanzen ist die beste Medizin“ von Julia Christensen und Dong-Seon Chang (2018)