In der Zeitung stand letztens, Schulaufgaben sollten zuhause nicht einfach irgendwann zwischendurch gemacht werden, sondern immer zur gleichen Zeit.
Das kann eine gute Strategie sein, vor allem wenn Lehrkräfte gerade versuchen „den Stoff“ nach Lehrplan möglichst weiter zu verfolgen – eine völlige Überforderung für alle Beteiligten.
Nicht zu vergessen ist aber: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Und: es gibt ganz neue, manchmal auch schon ältere, aber aufgeschobene Lernaufgaben zuhause, die jetzt in den Vordergrund rutschen, auch bewältigt werden wollen und vielleicht sogar noch wichtiger sind als die schulischen Hausaufgaben.
Wie es bisher bei uns lief
An dem ersten Montag, an dem die Schule geschlossen war, zog sich meine Tochter auf ihren hohen Sofaplatz zurück, an dem ihr kleiner Bruder nicht hinkommt und malte. Sie malte und malte und malte und entstand über zwei Tage ein wunderschönes Bild mit Haus, Wohnwagen, Garten schließlich Pferdekoppel – da war dann Schluss. Die Pferde, die Perspektive auf Ställe und Koppel – das wurde ihr zu kompliziert.
Ich habe sie erstmal gelassen. Erstens brauchte die Schule ein wenig, bis klar war, wie das mit den Hausaufgaben geregelt wird. Zum zweiten empfinde ich die Zeit mit meiner Tochter zuhause durchaus als Geschenk und freue mich daran. Und möchte die Zeit auch nutzen, zu schauen, was sie besonders gerne, besonders gut macht, besonders interessiert. Die individuelle Förderung, die in der Schule oft nur im Ansatz geleistet werden kann.
Individuelle Förderung
So habe ich sie in der ersten Woche einfach machen lassen. Sie hat sich wirklich die ersten zwei Wochen viele Impulse selbst gesetzt, andere Impulse habe ich gegeben. Zum Beispiel das Inlineskaten draußen war täglicher Bestandteil. Handarbeit war ein Punkt – mit Fingerhäkeln (gibt’s Anleitungen über youtube) hat sie mir ganz schnell ein Schlüsselband gemacht. Musik haben wir ein wenig gemacht, mit dem Kleinen und Gitarre gesungen – alles was uns Spaß gemacht hat.
Und die Schulaufgaben? Rechnen, Schreiben, Lesen
Von der Schule kamen Rechenaufgaben – meine Tochter ist in der zweiten Klasse. Die machte sie am Anfang in ihrem Rechenaufgabenbuch selbst mit Begeisterung. Später planten wir immer zwei Rechenblätter am Tag ein, die sie auch im Laufe des Tages immer irgendwann machte.
Abends schauten wir die Rechenaufgaben zusammen an, ich machten Haken hinter die richtigen Aufgaben und Kreise um die falschen. Das war für mich auch schön – ich verstand dann, wo ihre Schwierigkeiten lagen, z.B. beim Subtrahieren über Zehnergrenzen. Und zusammen versuchten wir das irgendwie verständlicher zu machen. Am Anfang haperte es, sie hatte keine Lust mehr, wenn ich erklärte und sie trotzdem nicht verstand. Dann fragte ich und sie erklärte mir mit ihren Schulheften, was sie gelernt hatte, das mit den Einer und Zehnern und plötzlich konnte ich etwas besser erklären oder ihr fiel plötzlich etwas ein, so dass sie das Problem von selbst irgendwie anders verstand.
Wir versuchten von dem Rechenthema ein wenig weg zu kommen und mehr das Schreiben als Aufgabe zu fördern. Hier gab es von der Lehrerin nur die Aufgabe, ein Tagebuch zu führen. In Rücksprache mit ihr, fanden wir Briefe schreiben eine gute Übung, so dass zwei schöne Osterkarten entstanden.
Was immer ging, war Lesen. Einfach deshalb, weil ich es gerne mache und sie es liebt, vorgelesen zu bekommen. In sich ergebenden Pause lesen wir derzeit Harry Potter, meist ich, mal sie. Tatsächlich wird sie nun in der vierten Woche und bei Band zwei angekommen schon wesentlich sicherer mit der kleinen Schrift.
Lernaufgaben ergeben sich auch im Alltag
Ab der zweiten Woche schien sie ein wenig unmotivierter. Ab dann arbeiteten wir mit einem Wochenplan, also einer Liste, auf der die Aufgaben der Woche standen auch welche Aufgaben, die eine Belohnung oder Überraschung darstellten, und sie hakte sie ab, wenn sie diese gemacht hatte.
Die Frage nach dem Medienkonsum
Wenn ihr langweilig wurde, wollte sie oft eine Hörgeschichte hören. Wir haben die Regel, dass sie eine halbe Stunde am Tag etwas hören oder fernschauen (Sendung mit der Maus) darf.
Da sie immer die gleichen Hörgeschichten vorschlug, meinte ich irgendwann, ob sie nicht eine andere hätte. Da meinte sie, sie würde mal alle aufschreiben, so dass eine Inventarisierungsliste entstand und sie gleichzeitig auch noch ihre CDs entrümpelte und mir überflüssigen für ihren Bruder übergab. So entstehen im Alltag die Aufgaben, die auch das üben, was sie gerade in der Schule macht.
Aufgaben, die im Alltag selbst entstehen sind wenig planbar, aber sicher ungleich motivierender. Es braucht dazu die Geduld und das Vertrauen, dass Kinder bzw. Menschen im Allgemeinen eigentlich immer gerne lernen – wenn es sie interessiert. Und die innere Freiheit, Kinder nicht zu dem zu zwingen, was sie wirklich nicht wollen. Und die Zeit und der Wille, ihnen anregende Dinge in ihre Umgebung zu räumen und auch wieder weg zu räumen.
Wenn die Schule zu viele Aufgaben schickt
Nun habe ich das Glück, dass die Lehrerin meiner Tochter keine langen Aufgabenlisten schickt, sondern Grundaufgaben und Zusatzaufgaben, wer möchte. So ist neben den Impulsen für das Schulkind und das Nicht-Schulkind und den Arbeitszeiten den Eltern bei uns zuhause Zeit für weitere Lernaufgaben. Waren sie vor Corona ab und zu ein Thema, werden sie jetzt zu wichtigen Lernfeldern.
Das Zuhause als ein Lernfeld für Lebensaufgaben
Solange die Eltern nicht vorbereitet sind, die Kinder zuhause zu unterrichten, sollte hier von Seiten der Schule auch nicht unnötig Druck gemacht werden. Es gibt gerade andere Lernfelder, die nun eine größere Priorität erhalten und nicht weniger wichtig sein müssen, als die im Lehrplan vorgeschriebenen Lernziele. Wir Eltern dürfen das an die Schule zurückmelden, wenn es zu viel wird. Und wir Eltern dürfen uns auf die Schultern klopfen. Täglich. Mehrmals.
Aufgaben, die sich aus der Homeoffice der Eltern ergeben können
Aufgaben für Kinder
Während einer Videokonferenz der Mutter oder des Vaters dabei sein.
- lernen, möglichst still sitzen können
- sich leise selbst beschäftigen können
Aufgaben für Erwachsene
- Toleranz, wenn Kinder während meiner Arbeitszeit beim Arbeiten unterbrechen: Störungen haben Vorrang
- Toleranz, wenn Kinder oder Kinder der ArbeitskollegInnen bei einem Meeting mit dabei sind
Aufgaben, die sich in der Familie ergeben
Da die Familie nun viel mehr Zeit miteinander verbringt, können soziale Lernziele für Kinder und Erwachsene verstärkt gefördert werden.
Verbindung zueinander aufbauen
- täglich mindestens eine halbe Stunde bewusst zusammen spielen, in der Wohnung oder im Garten
- eine Familienaktivität, die auf die Bedürfnisse aller eingeht in der Wochenroutine einplanen, z.B. eine gemeinsame Familien-Kaffeezeit am Tag, ein Tobezeit vor dem Schlafengehen oder abends nochmal spazieren gehen, alle zwei Wochen einen Ausflug ins Grüne machen
Geschwister
- mit den Geschwistern spielen
- auf Geschwister aufpassen, auf sich aufpassen lassen
Hausarbeit
Eine Aufgabe zuhause kann es sein, Kinder an Hilfe und Unterstützung der Eltern im Haushalt zu gewöhnen. Beim Pilze schneiden fürs Kochen zum Beispiel.
- zusammen Kochen, z.B. Gemüse schneiden für Kinder
- zusammen Putzen mit Mama und Papa immer Montags um 16 Uhr, z.B. die Kinder übernehmen die Badewanne zu putzen
Emotionale Lernfelder
Und es gibt eine ganze Reihe an emotionalen Lernfeldern.
Mein Kleiner beißt uns gerade immer, wenn ihm langweilig ist. Und versteht gar nicht, warum seine Schwester dann weint.
Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und mit ihnen mitzufühlen, wird durch Vorbild und Nachahmung gelernt. So habe ich meine Tochter das letzte Mal ganz bewusst in den Arm genommen, als der Kleine sie „im Spiel“ dermaßen fest in den Hinterngebissen hatte, dass sie vor Schmerz weinen musste. Habe sie festgehalten und gestreichelt. Es tat ihr gut und ihr Weinen versiegte allmählich. Und der Kleine? Nach einer Weile begann er seine Schwester selbst am Bein zu streicheln, den Rücken zu streicheln. Wie schön.