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Familienpraxis 

Dr. Simone Lang

Gestern war ich mit dem Kleinen bei der Kinderärztin. Es ist doch immer wieder sonderbar, welche Vorstellungen von „Erziehung“ in den Köpfen mancher Menschen herumschwirrt – respektive hier im Kopf der Arzthelferin besser gesagt, Ärztinhelferin. Oder besser: Sprechstundenhilfe.

Bei unserer Kinderärztin gibt es diese klassische Waage aus Metall, die wohl jede Mutter kennt, darauf ein dünnes Blättchen Papier gelegt – vermutlich wegen der Hygiene – auf die das klitzekleine Säuglingskind dann vor der eigentlichen Untersuchung nackt zur Gewichtskontrolle gelegt werden soll. Nun kenne ich das ja schon von meiner Ersten. Ist es für das (neugeborene) Kind nicht schon beunruhigend genug, in einer fremden Umgebung vom Arm der Mutter weg in so eine Schale gelegt zu werden?! Dass dann diese Schale recht kühl, um nicht zu sagen: eiskalt ist, war für mein erstes Kind nicht zu ertragen, so dass es mit lautem Schreien ihren Unmut kund tat (wie übrigens auch bei diesem Termin das Baby vor uns natürlich…). Nun sind wir Mütter ja klug und lernen daraus – ergo: will ich, dass mein Kind nicht schon am Beginn des Termins schreit, lege ich sie nicht nackt auf diese Schale. Soviel zur Vorgeschichte…

Gewichtskontrolle bei der Kinderärztin

Da ich das Kältethema der Waage also schon kenne, lasse ich meinem Kind einfach den Body an – das macht nicht viel Gewicht aus und schützt (übrigens ja nicht nur vor Kälte, sondern gerade auch bei größeren Kindern vor Blicken oder dem Gefühl, entblößt zu sein). So auch gestern. Leider hatte ich Pech mit der Sprechstundenhilfe, die fand das gar nicht gut. Als ich nach ihrer Aufforderung, meinem Baby den Body auszuziehen, meinte, dass er dann anfangen würde zu weinen, wiederholte sie die Anweisung stur. Das sei Vorgabe der Ärztin. Ich meinte, sie solle halt 100 Gramm für den Body abziehen, aber es war eigentlich schon klar, dass das für sie undenkbar war. Für mich war das aber schon ein Kompromissangebot, denn für eine gemeinsame Lösungssuche, wie wir das GENAUE Gewicht finden, das Kind aber schützen könnten, das war mir auch klar, war diese Dame sicher nicht zu motivieren. Und richtig: Nachdem ich das Kind einfach nicht auszog, sie aber ihren Ablauf nicht unterbrechen wollte, musste ich mir zumindest ihren Kommentar anhören, den sie auf der Schwelle zum Hörbaren in ihren nicht vorhandenen Damenbart zischte. Was denn das für eine Erziehung sei…

Erziehung als Gehorsam?

Aha, da hatte ich es. Die Mutter ist ungehorsam und wird abgemahnt. Mit Müttern kann frau es ja machen. Erziehung als Gehorsam.
Erziehung ist, auch heute noch in den Köpfen vieler Menschen, wenn ein Kind „brav“ ist, folgsam, gehörig und fügsam. Gehorsam einer Autoritätsperson gegenüber (also ich ihr gegenüber? – interessant…), die eine Mutter oder ein Vater gegenüber sein Kind ja wohl zu sein hat.

Missachtet wird dabei, dass Kinder von Anfang ihres Lebens an sehr wohl selbst Verantwortung für sich selbst übernehmen können – zunächst in scheinbar klitzekleinen Dingen. Und wir gut daran tun, es ihnen nicht abzugewöhnen – also abzuerziehen. Schon Babys übernehmen Verantwortung dafür, was sich für sie gut anfühlt und was eben nicht. Und sie sind mit einer ganze Menge Reflexe ausgestattet, die ihr Überleben sichern – ihr Körperchen weiß es also gut, was ihm beim Überleben hilft und was schadet. Jetzt ist so eine kalte Waage ja nicht überlebensgefährlich, mag manch eine denken. Das ist sicherlich richtig, aber es muss eben auch nicht sein. Es ist vermeidbar und erspart dem Kind in einer neuen und damit unsicheren Situation eine unangenehme Erfahrung. Eine Erschütterung im eigenen physisch-psychischen Gleichgewicht.

Mündige Mutter

Beliebt habe ich mich bei der Sprechstundenhilfe nicht gemacht, mit meiner Weigerung, das Kind auszuziehen, das ist klar. Da muss ich dann halt durch, das Wohlergehen meines Kindes ist mir wichtiger. Mittlerweile habe ich da auch keine Skrupel mehr – wer mich als Expertin für genau dieses Kind nicht ernst nimmt, der bekommt eben die rote Karte. Im Notfall wechsle ich die Ärztin. Hinterher komme ich dann immer ins Denken und frage mich, ob es so schwer sein kann, einfach ein Schaffellchen oder etwas ähnlich Warmes auf die Waage zu legen. Und die Waage dann mit Tara auf Null zu stellen. (Aber da kenne ich mich natürlich mit dieser Waage nicht wirklich aus… Würde mich nur wundern, wenn es Waagen mit Tara-Funktion nicht zu besorgen gäbe …)

Was ist Erziehung?

Was ist aber Erziehung, wenn nicht Gehorsam gegenüber Autoritätspersonen? Ob neue Erziehungsexpertinnen oder Experten wie Katja Saalfrank, Jesper Juul oder die alten, immer wiederkehrenden Leitlinien der Reformpädagogik einer „Erziehung vom Kinde aus“: Klar ist, dass „Erziehung“ bestenfalls mit dem Willen und nicht gegen den Willen des Kindes geschieht. Und dass wir Erwachsene uns gut überlegen müssen, in welchen Fällen wir gegenüber dem Kind unsere Autorität auspacken und wann nicht. Autorität hier verstanden als das (vermeintlich bessere Wissen) darüber, was gut für das Kind ist – mit dem Kind als Korrektiv. Wir Eltern wissen „besser“, dass Zucker gesundheitsschädlich ist und werden zum Wohle des Kindes auf den Zuckerkonsum unseres Kindes achten, auch wenn unser Kind anderer Meinung ist. Aber im Rahmen unserer Essensvorauswahl, kann das Kind selbst entscheiden, was es mag. Problematisch wird es immer dann, wenn wir aus eigener Bequemlichkeit Dinge tun. Zum Beispiel, aus Vorsicht, etwas könnte passieren. Das Kind davor warnen, statt einfach das Wasserglas aus der Reichweite zu bringen. Oder aus Bequemlichkeit Süßes als Ersatz für wirkliche, gelebte Zuneigung und gemeinsam verbrachte (Spiel-)Zeit geben.

Und manchmal wissen wir es eben auch gar nicht besser und haben unsere Grenzen. Das Kind weiß am besten, was es selbst interessiert. Das finden wir heraus, wenn wir das Kind zu verstehen versuchen. Erziehung wird zur Beziehung.

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