
Gestern hatte mein Kind (5 Jahre) einen Zahnarzttermin – ZUM ERSTEN MAL BOHREN!!! Aaaarghhh, Panik, schlaflose Nächte bei mir in den Wochen davor.
Am Morgen vorher war ich recht entspannt, ich spielte mit meinem Kind beim Zähne putzen, dass die Zahnbürste abwechselnd mal der Bohrer oder Sauger sind, die Haarnadel diente als Spritze. Rechtzeitig waren wir 5 Minuten vor Beginn da und wurden zügig nach dem Ausziehen ins Sprechzimmer geholt.
Was tun, wenn mein Kind den Mund nicht aufmacht?
Seitdem mein Kind 2 Jahre alt ist, versuchen wir regelmäßig abends die Zähne zu putzen – wir nutzen eine elektrische Zahnbürste. Es ist eine tägliche Belastungsprobe – es fordert meine ganze Kreativität, dass es möglich wenig auf einen Machtkampf hinausläuft (siehe dazu auch meinen Artikel zum Zähne putzen).
Als er zum ersten Mal in die Arztpraxis kam, weigerte er sich, überhaupt das Behandlungszimmer zu betreten und wartete lieber draußen. Die nächsten beiden Male kam er mit auf meinen Schoß bzw. stellte sich neben mich. Ich erzählte der Ärztin, wie wir putzen, dass ich bisher nichts sehe. Dabei konnte die Ärztin hier und das einen Blick auf die Zähne erhaschen. Es ging für mich darum, die Zahnarztsituation zu üben und Vertrauen zur Ärztin aufzubauen.
Dann der Schock – beim Putzen stellte ich eine Verfärbung hinten am Backenzahn fest – die erste Karies? Der Zahnarzt bestätigt den Verdacht: Die erste Karies. Wir sind mittlerweile soweit, dass mein Kind sich auf meinem Schoß die Zähne anschauen lässt – zunächst auf dem Besucherstuhl. Er merkt, dass es mir wichtig ist, das vom Arzt abklären zu lassen. Ich erzähle ihm, dass ich nicht sicher bin, ob sich schon die Bakterien, z.B. vom Zucker essen, in einen Zahn reingefressen haben. Dass der Zahnarzt das gelernt hat und besser sehen kann als ich.
Der eigene Standpunkt
Ich vermute, dass meine eigene innere Klarheit und die Regelmäßigkeit der Übungssituation „Was mache ich beim in der Praxis?“ dazu geführt hat.
Zuhause stellen sich Fragen ein: Was tun? Wie mit der Diagnose umgehen? Was „muss“ sein, wo gibt es Spielräume?
In der Müttergruppe, in der ich nachfrage, wie andere damit umgehen, kommen hilfreiche Tipps, welche Zahnarztpraxen geduldig sind mit Kindern. Es werden präventive Vorschläge gemacht (Die Ernährung zuckerfrei gestalten). Und es gibt die These, dass Karies heilbar sein kann. Ich spüre, dass es mir vor allem um die gute Begleitung meines Kindes geht – so dass er sich möglichst im Vertrauen und mit wenig Schmerzen auf das einlassen kann, was wir als Eltern gut für ihn halten.
Ich mache einen Termin zum Entfernen der Karies.
Ich erlebe oft, dass ein Kind hinfällt, die Mutter oder der Vater es aufhebt und dann sagt: „Alles gut!“ Den beruhigenden Tonfall mag ich daran – das ist es, was das Kind jetzt gerade braucht: Trost. Mit der Ausssage, dass alles gut sei, habe ich meine Probleme, denn das Kind hat gerade Schmerzen, einen Schrecken bekommen etc. Wie soll das gut sein? Was passiert da im inneren Erleben des Kindes? Es ist aus dem eigenen Gleichgewicht, weint, und gleichzeitig bekommt es vermittelt, dass es die eigene Wahrnehmung übergehen und schnell wieder aufstehen, weitermachen soll. Gefühle wollen einfach durchlebt werden. Das Problem ist, dass es uns selbst so schwer fällt, weil wir es oft bei uns nicht zulassen können.
Was für mich nicht geht, ist, meinem Kind vorzumachen, dass die Zahnbehandlung bestimmt nicht weh tut. Also erzähle ich meinem Kind realistisch, was gemacht wird – es wird die Karies aus dem Zahn heraus gebohrt. Vielleicht tut es weh, vielleicht nicht – das darf mein Kind entscheiden. Was ich ihm auch erzähle, dass es vermutlich nicht so angenehm ist, wenn eine andere Person im eigenen Mund herummacht. Das gefällt ihm schon beim Zähneputzen nicht.
Wie begleite mein Kind in der Arztpraxis?
Beim nächsten Termin kommen wir mittags an – er ist gerade aus dem Mittagsschlaf aufgewacht. Da er weiß, dass heute gebohrt werden soll, will er nicht aus dem Fahrradanhänger steigen. Ich möchte, dass Karies heraus gebohrt wird und werde bestimmt in meinem Ton. Er fängt an zu weinen. Die Sprechstundenhilfe an der Anmeldung ist genervt. Ich bin gestresst. Gegen seinen Willen hebe ich ihn aus dem Radanhänger und trage ihn auf dem Arm. Wir gehen zum Behandlungszimmer, er klammert sich an mich. Wir reden an der Tür mit dem Zahnarzt. Ich setze mich mit ihm auf den Behandlungsstuhl. Der Zahnarzt spricht mit ihm, er verweigert sich, als es darum geht, den Mund aufzumachen. Er versucht es mit Erklärungen und spricht von dem „Feger“ (= Bohrer), der den „Zahnteufel“ wegfegt. Und von der „Erbeercreme“, die es schafft, dass er den Piks nicht spürt, mit dem der Zahn mit einem Kissen (= Spritze) schlafen gelegt wird.
Er versucht, ihn als „großen Jungen“ zu einer Behandlung zu überreden und zum Schluss mit dem Versprechen Druck aufzubauen, dass er sich das nächste Mal den Zahn behandeln lässt.
Meine Erfahrung ist, dass es bei ÄrztInnen immer nötig ist, das eigene Kind gut zu vertreten. Die Anwältin der Bedürfnisse des Kindes zu sein. Das geht für mich nur durch Entschleunigung und Ausloten dessen, was in dem Rahmen der Praxis möglich ist. Die meisten Zahnarztpraxen sind geduldigt bei den ersten Terminen: Zähne zählen, Zähne einfärben und putzen, Vorstellung der Geräte. Wenn nicht, wechsle ich die Praxis, da ein Arztbesuch für mich Vertrauenssache ist.
Der Plan B
Ich spreche mit dem Zahnarzt, wie nötig eine Behandlung ist, da es Milchzähne sind. Und wie groß das Loch ist. Er hält es für nötig, weil die Karies sich ausbreiten und tiefergehende Schichten schädigen kann.
Wir gehen nach Hause mit dem dritten und letzten Termin in dieser Praxis nach Hause. Danach, so die Praxis der Praxis :-), werden die Kinder in die Klinik zur Behandlung unter Vollnarkose überwiesen. Unter diesem drohenden Damoklesschwert mache ich mir Sorgen. Ich möchte mein Kind nicht dazu zwingen, den Mund aufmachen zu müssen. Also – erstmal entschleunigen. Druck raus nehmen. Checken, was ich will – und es mit dem Kindsvater besprechen. Informationen einholen. Mir wird klar, eine Behandlung unter Narkose möchte ich nicht. Ich bitte meinen Partner, unser Kind das nächste Mal mit zu seiner Zahnärztin zu nehmen. Er macht einen Termin. Der läuft glücklicherweise ganz in unserem Sinne – die Zahnärztin bestätigt die Diagnose und die Einschätzung des ersten Zahnarztes, ist geduldig mit dem Kind. Und mein Sohn kennt mittlerweile die Abläufe immer besser. Er merkt, dass er mir Glauben schenken kann: Wenn ich sage, dass nur die Zähne gezählt werden, passiert wirklich auch nichts Schlimmeres.
Der Termin
Vor dem Termin zum Zahn bohren reden wir öfter darüber, er will wissen, ob der Termin schon morgen oder nächste Woche ist. Er ist beruhigt, wenn ich versichere, dass es noch länger dauert. Die Woche vor dem geplanten Termin merke ich, dass zuviel los ist und ich es emotional nicht schaffe, ihn gut zu begleiten. Ich verlege den Termin.
Vor dem tatsächlichen „Bohrtermin“ liegt auch noch der Termin in der Alternativpraxis – was mich total entspannt.
So ist der Abend und Morgen davor ziemlich entspannt. Mein Kind hat nicht mehr groß nachgefragt und ich habe lediglich erwähnt, dass wir morgen hingehen. Als wir dort ankommen, gleich morgens um 8.15 Uhr, das sind wir alle nach dem Schlafen entspannt, kommt mein Kind wie selbstverständlich mit ins Behandlungszimmer. Ich achte darauf, sehr klar in meiner Körpersprache zu sein und gehe voran. Im Behandlungszimmer setzte ich mich zügig auf den Behandlungsstuhl und nehme ihn auf den Schoß, gebe uns damit Sicherheit.
Zuerst spricht die Sprechstundenhilfe mit meinem Kind, dann kommt der Arzt und plaudert ein wenig mit ihm über das Wetter und was heute ansteht. Als ich merke, dass ihn das Gespräch überfordert, erzähle ich ein wenig. Unter anderem, dass wir gut vorbereitet sind.
Ich frage, ob er nach dem Auftragen der Paste ausspucken soll und ob das Wasser gleich vorbereitet werden kann – zeige damit meinem Kind den Ablauf. Als der Zahnarzt die Geräte vorstellt und den „Feger“ zeigt, meint mein Kind trocken „Bohrer“. Wir müssen alle Grinsen. Nach einer halben Stunde waren wir fertig – nicht ohne Nerven zu lassen – doch mit einer entfernte Karies und eine Kunststofffüllung im Zahn. Was noch Wochen vorher undenkbar war.
Elternarbeit – was wir alles leisten für unsere Kinder
Ich bin immer wieder begeistert, was wir als Mütter leisten können, wenn wir statt Befremden und Zwang Unterstützung und Mitgefühl in der Begleitung unserer Kinder erleben dürfen. Die Arztbesuche sind ein Klassiker und statistisch gesehen mit einer der größten Angstfaktoren bei Müttern. Damit sich alle Mütter die Zeit leisten können, ihr Kind bewusst und liebevoll zu begleiten kannst du beispielsweise den Verband für Familienarbeit unterstützen, die dafür eintreten, dass Elternarbeit bezahlt wird. Ansonsten wünsche ich dir viel Erfolg und viele schöne Stunden mit deinem Kind!